„Insektenhotels“ – Rettungsinseln oder Kassenschlager?
Überall ist es zu lesen, dass die Fülle der Insekten massiv zurückgegangen ist. Deshalb ist etwas in Mode gekommen: “Insektenhotels“. Baumärkte bieten sie an. Schulen leisten sich Musterhotels und bieten AGs zum Bau an. Und fast jeder Eigenheimbesitzer bietet hilfsbereit den bedrohten Insekten diese Überlebenschance an. – Wir fragen hier einmal nach: Sind diese wohlmeinend installierten Objekte wirklich hilfreich gegen das Insektensterben?
Die Hauptursache für den Rückgang der Insekten ist unbestritten: Nahrungsmangel in blütenarmen (Garten-)Landschaften sowie der Gifteinsatz im Pflanzenschutz. Für solche Insektenarten, die zur Fortpflanzung auf kleine Hohlräume oder offene sandige Bodenstellen angewiesen sind, kommt der Mangel an Nistmöglichkeiten hinzu – und nur für jene oberirdisch nistenden Insekten eignen sich künstliche Nisthilfen. Es geht um Nistplätze für klassische Hohlraumbesiedler wie die Wildbienen und ihre Verwandten.
Ich habe mich einmal umgeschaut, wo dieser Zweck erfüllt wird. Die Bilanz ist ernüchternd: es gibt im öffentlichen und privaten Raum kaum eine Nisthilfe, die diesen Namen verdient.
Schauen wir uns zwei konkrete Beispiele an: ein großes Insektenhotel in Reppenstedt (Ort und Erbauer seien hier ungenannt) und ein kleines an einem Privathaus.
1. Das wichtigste Element, das den Wildbienen und Grabwespen dienen könnte, sind (links) die lochreichen Holzstücke und (rechts) die vielen Bambusstäbe. Doch die Löcher müssen der Körpergröße der Insekten angepasst sein mit Durchmessern von 2-9 Millimetern (die meisten bei 3-6 Millimetern). Im kleinen (rechten) Beispiel sind die Rundhölzer und Bambusstäbe zum größten Teil schon seit drei Jahren unbesetzt, weil zu groß im Lochdurchmesser.
Doch nun zur großen Bienenwand (links):
Die Tiefe der Löcher sollte mindestens die Länge des Bohrers erreichen. Und wenn die Biene rückwärts in das Loch kriecht, um den Pollen abzustreifen, sollte sie sich nicht die Flügel an Fasern und Fransen verletzen.
In diesen Hölzern (s. Abbildungen) sind diese Bedingungen nicht gegeben – und demensprechend wurden sie in mehreren Jahren auch kaum besiedelt. Urteil: keine geeignete Nisthilfe!
2. Ähnlich verhält es sich (in einem anderen öffentlichen Beispiel) mit angebotenen Stroh- oder Schilfhalmen: sie sind überwiegend zerdrückt oder haben zerfranste Enden. Nur sauber geschnitten sind sie nützlich.
Um taugliche Nistlöcher zu machen, muss man trockenes Hartholz senkrecht zur Faser (durch die Rindenseite) bohren und die Oberfläche schleifen, damit die Lochränder keine Fransen haben. Sauber gebohrte Harthölzer und hohle Halme und Zweige sind die besten Angebote für Wildbienen – leicht zu erkennen an der raschen und fast immer vollständigen Besiedlung (Eingänge verschlossen).
Was bedeuten jedoch die anderen Bauelemente, die man hier wie in den meisten in Baumärkten erhältlichen Insektenhotels findet?
3. Kiefernzapfen und Fichtenzapfen sind völlig sinnlose Zutaten. Die behauptete Versteckmöglichkeit für Marienkäfer ist ohne biologischen Sinn. Urteil: wertlos!
4. Hobelspäne und Erdnussschalen, aber auch Knäuel aus Holzwolle, altem Stroh oder Heu dienen an dieser Stelle lediglich der einträglichen Abfallentsorgung.
Urteil: biologisch sinnlos.
(Will man Ohrenkneifer als Blattlausjäger fördern, hängt man einen Unterschlupf für sie direkt in den Apfelbaum.)
5. Großer Hohlraum mit Zugang durch einen senkrechten Schlitz: Die behauptete Nützlichkeit als Versteck für Schmetterlinge ist nicht gegeben, denn Tagpfauenauge und Kleiner Fuchs, die als einzige bei uns dafür in Frage kämen, sind noch niemals darin gesichtet worden. Urteil: nutzlos und überflüssig!
6. Großer Hohlraum mit waagerechten Zugangsschlitzen – meist rot angemalt: Gedacht ist an die nützlichen blattlausfressenden Florfliegen, die sich jedoch hier weder fortpflanzen noch verstecken wollen.
Urteil: ohne Nutzen und überflüssig.
7. Rote Ziegelsteine mit vielen Löchern: Nur für verhaltensgestörte Mauerbienen geeignet, die hier Unmengen an Baumaterial verschwenden müssten. Urteil: absolut sinnlos!
8. Harte Lehmwände aus Strohlehm sind unzweckmäßig, weil sie zu hart sind. Außerdem sind den grabenden Insekten die Halme hinderlich. Geeignet ist magerer (feinsandiger) Lehm oder Lös ohne Stroh.
9. Leere Schneckenhäuser werden von einigen Wildbienen genutzt und tauchen als Element in manchen Insektenhotels auf. In der Nisthilfe sind sie jedoch sinnlos, da die Bienen die Behausungen am Boden suchen und dort auch mit der Öffnung nach unten umdrehen können müssen.
10. Gasbetonsteine ziehen Feuchtigkeit, was die Brut verpilzen und absterben lässt. Das gleiche gilt übrigens für pädagogisch gut gemeinte Beobachtungsröhren aus Glas oder Silikon. Das Material nimmt keine Feuchtigkeit auf und das Kondenswasser lässt die Brut verpilzen.
Urteil: unzweckmäßige Insektenfallen
Bilanz
Erinnern wir uns daran, für welche Insekten Nisthilfen nützlich sind (Wildbienen einschl. Hummeln, Grabwespen) und dass es lediglich um kleine röhrenförmige Hohlräume geht, dann sind 90 Prozent der Materialien in den Insektenhotels der Baumärkte unzweckmäßig und als Abfall oder billige Raumfüller zu bezeichnen.
Es lassen sich auf diese Weise aufwändige Artikel mit geringem Nutzen herstellen, die dann entsprechend teuer (20 – 100 €!) verkauft werden. Und sie können verkauft werden, weil die Kunden der Kompetenz der Hersteller vertrauen, die jedoch gutwillige Käufer schamlos ausnutzen und trotz vorhandener Kritik von vielen Fachleuten ohne Verbesserungen an ihren Kassenschlagern festhalten.
Heute sind hervorragende Informationen aus dem Internet schnell zur Hand – man schaue nur einmal bei NABU-, BUND- oder Naturgartenseiten nach. Trotzdem kommen sie nicht gegen die fake news der Wohnklamottenhersteller an. – Vermutlich liegt das daran, weil diese, wie mir es ein Freund formulierte, „bereits im kulturellen Erbe unserer Gesellschaft verankert“ sind.
Zum Glück gibt es auch einige Hersteller von sinnvollen Bienenwohnungen (s. Abbildung rechts ), die man bei Werner David besprochen findet: www.naturgartenfreude.de/
Und wenn das Haus steht – was dann?
Diese Frage ist berechtigt – man wird geradezu heftig auf sie gestoßen, wenn man das oben zitierte große „Bienenhotel“ in Reppenstedt betrachtet.
Es geht ja eigentlich nicht um ein „Hotel“, wo man mal eben unterkommt, sondern es geht um Wohnblöcke mit vielen Eigenheimen, die dauerhaft bewohnt sein sollten und dementsprechend eine verantwortliche Hausverwaltung brauchen – sprich: verkommene Teile sind zu ersetzen, alte Löcher, die parasitierte Nester enthielten, sind zu reinigen, schadhafte Löcher vielleicht nachzubohren. Und das jedes Jahr!
Liebe Leserin, lieber Leser, ich weiß, dass ich vielen hier Einiges zugemutet habe. Aber wir kommen mit dem Insektenschutz nicht weiter, wenn wir nicht die elementaren Bedürfnisse der Insekten verstehen – und nur darum ging es in diesem Artikel. Jedes alte „Insektenhotel“ lässt sich mit Wissen und Fantasie zu einer Insektenwohnung umbauen, die diesen Namen verdient. Packen wir es an!
Text: Dr. Wolfram Eckloff
Der Text zum Download findet sich hier.